„Die DDR ist auch unser Erbe“ (Charlotte Gneuß)
Die 32-jährige Autorin Charlotte Gneuß debütierte 2023 mit dem Roman „Gittersee“, dessen Handlung im Dresden der 1970er Jahre spielt. Am 19.02.2024 kam sie für eine Lesung aus diesem Roman an das Dossenberger-Gymnasium und las für die ca. 200 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen zehn bis zwölf.
Die Handlung des Romans ist gesellschaftlich interessant, da gezeigt wird, wie die 16-jährige Karin Köhler zu einer Inoffiziellen Mitarbeiterin (IM) der Stasi wird. Karin ist verzweifelt, da ihr Freund Paul Republikflucht begangen hat und sie ihn nicht mehr sehen kann. Gleichzeitig muss sie sich um ihre erst wenige Jahre alte kleine Schwester kümmern und ihre Eltern trennen sich im Verlauf der Handlung. Der ihr zugeordnete Führungsoffizier nutzt diese emotionale und familiäre Notlage geschickt aus und zieht Karin immer tiefer in das Netzwerk der Stasi hinein. Gesellschaftlich interessant ist diese Handlung deshalb, weil Karin eigentlich selbst ein Opfer der Stasi ist, aber andererseits ihre Mitschüler und weitere Menschen in ihrem Umfeld – auch ihre beste Freundin – verrät. Besonders schwierig zu entscheiden ist daher die Frage nach der Schuld und der Verantwortung Karins. Genau das war auch die Absicht, die Charlotte Gneuß mit dem Roman verband. Sie wollte, dass bei der Erinnerung an die DDR und die SED-Diktatur die Frage nach der Verantwortung nicht in Vergessenheit gerät.
Zu Beginn der Lesung war die Aufregung, eine deutschlandweit bekannte Autorin zu sehen, unter den Schülerinnen und Schülern förmlich zu spüren. Dies änderte sich, nachdem die Autorin die Lesung souverän einleitete und die Schüler von Anfang an direkt mit einband und aktiv teilnehmen ließ, indem sie sie dazu aufforderte, Fragen zum Roman oder auch zu ihrer Person zu stellen. Dabei stellte sich heraus, dass es in Charlotte Gneuß‘ Familie ebenfalls Fälle von Republikflucht gegeben hat und ihre Eltern per Ausreiseantrag noch kurz vor dem Ende der DDR ausgereist sind.
Interessant waren auch ihre Antworten auf die Frage nach ihrer Vorgehensweise. Da sie selbst keine Zeitzeugin ist, konnte sie zwar Erzählungen ihrer Eltern nutzen, musste sich aber viele Details auch durch Recherche aneignen. In einem solchen Gespräch mit einem ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi wurde ihr beispielsweise bestätigt, dass es tatsächlich üblich war, dass Vereinbarungen mit der Stasi im Direktorat des Schulleiters unterschrieben wurden.
Durch die Lesung wurden einige Schülerinnen und Schüler motiviert, den Roman „Gittersee“ zu lesen. Auch wurde über die DDR aufgeklärt, um die es ja im Roman geht. Insgesamt war es eine sehr informative Lesung, bei der interessante Fragen geklärt wurden.
Leonard Wagner (10b)