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Mit Erasmus+ auf den Spuren des finnischen Schulerfolgs

(Bild oben: Die erste finnische Volksschule von 1862 in Storsved)

Seit Finnland bei der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 hervorragend abgeschnitten hat, gilt das finnische Schulsystem als vorbildhaft. Lehrer und Politiker aus ganz Europa machen sich seitdem auf den Weg, um vor Ort zu erfahren, wie solch gute Ergebnisse zu erreichen sind.

Eine Möglichkeit zum Kennenlernen des finnischen Systems bietet auch das Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte von Erasmus+, an dem seit Juni diesen Jahres Lehrkräfte des Dossenberger-Gymnasiums teilnehmen können.

Unter dem Motto „Experienced teacher – treasure or trouble?“ trafen sich vom 21. – 26. Juli Kolleginnen aus der Slowakei und Deutschland in der nordfinnischen Stadt Oulu und erlebten dort ihren persönlichen PISA-Schock. Denn sehr schnell wurde klar: Die finnischen Kollegen sind alles andere als überzeugt von der Überlegenheit ihres Schulsystems. Die anfänglich guten PISA-Ergebnisse schreiben sie in erster Linie drei Faktoren zu:

  1. dem hohen Ansehen und der Autorität, die Lehrer vor 20 Jahren in Finnland noch genossen,
  2. der damals homogenen Schülerschaft und
  3. der Tatsache, dass Filme im Fernsehen nicht synchronisiert werden, was dazu führe, dass Kinder die Untertitel möglichst schnell lesen können wollen.

Mittlerweile sei das Ansehen der Lehrkräfte massiv gesunken. Ihr Wissen sei nicht mehr gefragt, was die neu definierte Rolle als Lernbegleiter und Coach überdeutlich zeige. Auch habe Finnland einen nicht geringen Anteil an Flüchtlingen aufgenommen, so dass schulisches Lernen vor anderen Herausforderungen stehe. Weil außerdem seit Jahren nicht in Schulen investiert werde, bestehe vieles nur auf dem Papier. So gibt es zum Beispiel Lehrmittelfreiheit für alle. Da aber nicht genügend Gelder zur Verfügung stehen, teilen sich zwei Schulen in einem Schuljahr denselben Stapel Englischbücher und Bücher werden noch genutzt, wenn sie längst in Einzelteile zerfallen. Jedes Kind habe ein Recht auf individuelle Förderung, aber de facto bleibe pro Kind nur 15 Minuten Unterstützung pro Monat, da nicht ausreichend Lehrkräfte für eine individuelle Förderung eingestellt werden. Theoretisch stehe Lehrern auch ein Helfer im Klassenzimmer zu. Dies seien aber meist Arbeitslose, die für ein bis zwei Monate im Jahr einer Schule zugeteilt werden, von der schulischen Arbeit keine Ahnung hätten und selbst betreut bzw. eingearbeitet werden müssten. In den letzten Jahren sei alles Geld im schulischen Bereich in die Bereitstellung neuer Medien gegangen, während gleichzeitig die Gebäude verfielen und kein Geld übrig sei für zwingend notwendige Renovierungsmaßnahmen.

Ein Blick aufs Lehrerpult im Schulmuseum von Stundars

Große Sorgen bereitet den Referenten auch die Digitalisierung. Sie treibt in Finnland erstaunliche Blüten. So wurde vor zwei Jahren abgeschafft, dass Grundschüler eine Handschrift erlernen. Sie bekommen mit dem ersten Schultag ein Tablet in die Hände gedrückt und sollen mit Hilfe von Computerspielen buchstäblich alles erlernen. So wird zum Beispiel Rechnen in der Grundschule mit dem Programm „Education Mindcraft“ vermittelt.

Die finnischen Kollegen waren sich einig, dass sich der negative Trend, der bereits 2010 eingesetzt hat, in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Sie sehen ihr Land bald als Schlusslicht bei internationalen Schulvergleichen.
Spätestens hier konnten die Kolleginnen aus Deutschland und der Slowakei aufatmen. Das gemeinsame Arbeiten und der Austausch über unsere Schulsysteme hat gezeigt: Ganz offensichtlich gibt es europaweit Trends im Schulwesen, kämpfen wir mit ganz ähnlichen Problemen. Doch als Lehrerinnen mit langer Unterrichtserfahrung wissen wir, dass Trends sich überleben und dass Erfolg bei PISA nicht alles ist.

Sonja Frenken